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Folgen des Brexit: Reise ins Ungewisse
Ob das deutsche Sprichwort „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis“ auch im Vereinigten Königreich bekannt ist? Anwendbar wäre das Zitat zumindest: Aus dem Nichts und eigentlich ohne Not hatte dort eine Gruppe Brexit-Befürworter eine Bewegung mit ungewissem Ausgang in Gang gesetzt.
Es war der britische Premierminister und Parteichef der Conservative Party David Cameron, der das Brexit-Referendum 2016 auf den Weg brachte. Auch wenn er bis zuletzt für einen Verbleib Großbritanniens (GB) in der Europäischen Union (EU) geworben hatte: Bekanntermaßen konnten sich seinerzeit seine Gegner – wenn auch knapp – durchsetzen! Nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft will das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 um 23 Uhr mitteleuropäischer Zeit die EU verlassen. Man möchte annehmen, dass mehr als zwei Jahre einen ausreichenden Zeitraum darstellen, um den Austritt Großbritanniens aus der EU reibungslos vorzubereiten. Nicht so im Vereinigten Königreich.
Keine Einigung
Nach endlosen Diskussionen und Beschlüssen zeichnete sich erstmals im November 2018 ein gangbarer Weg ab. Dieser sieht vor, dass die Briten nach dem März 2019 eine Übergangsfrist von zwei Jahren erhalten, um den Brexit umzusetzen und entsprechend neue Verträge mit der EU als Ganzes sowie den 27 Einzelstaaten zu verhandeln. Ein Abkommen, das bis zum Redaktionsschluss kurz vor Jahreswechsel jedoch keine mehrheitliche Zustimmung im britischen Unterhaus erhielt. Im Gegenteil: So musste Premierministerin Theresa May
Mitte Dezember gar ein Misstrauensvotum über sich ergehen lassen. Auslöser für die Abstimmung war der Streit über jenes Brexit-Abkommen, das May mit den EU-Mitgliedsstaaten ausgehandelt hatte.
Wie nun genau GB die EU verlässt, bleibt weiterhin offen: Kurz vor dem offiziellen Austrittstermin gibt es keine verbindliche Regelung zwischen den Briten und der EU. So fehlen etwa vertragliche Grundlagen, die als Basis für den Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften benötigt werden. Im Ergebnis würde GB zu einem Drittland werden und das bisherige Vorgehen zum gefürchteten harten Brexit führen. Alleine schon die gravierenden Nachwehen betreffend Zölle und EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit hätten weitreichende Folgen für die Wirtschaft im Vereinigten Königreich und in den Mitgliedsstaaten der EU.
Auch Finanzmärkte leiden unter dem Brexitvorhaben
Die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in GB spiegeln sich unweigerlich vor allem auch in den Finanzmärkten wider. Das Britische Pfund, in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch mit Leitwährungscharakter, ist insbesondere in den letzten Jahren erheblich „unter die Räder gekommen“: Betrachtet man an dieser Stelle das Verhältnis des Britischen Pfunds zum US-Dollar oder zum Euro, lässt sich festhalten, dass sich das Pfund gegenüber dem US-Dollar von Ende 2017 bis zum Schluss des ersten Quartals 2018 von den vorherigen Nackenschlägen erholen konnte. Auf der anderen Seite hat diese positive Bewegung während dieser Zeitspanne gegenüber dem Euro nicht stattgefunden. Ganz im Gegenteil: Hier hatte sich der negative Trend, der seit 2014 nahezu ungebrochen war, 2018 noch einmal verstärkt. So fiel der Wert etwa nach dem Misstrauensvotum gegen May auf beinahe 1,10 Euro je Pfund. Kursbewegungen, die deutlich das Misstrauen gegen die britische Politik und Wirtschaft ausdrücken.
Hinsichtlich des britischen Aktienmarkts zeigt sich, dass der dazugehörige Aktienleitindex FTSE-100 im ersten Quartal 2018 mit dem Anstieg auf 7.900 Punkten ein neues All-Time-High erreicht hatte und damit in der Entwicklung dem weltweiten Trend gefolgt ist. Auch die seitdem eingeleitete Abwärtsbewegung mit einem Rutsch von über -15 Prozent, liegt dabei voll und ganz im europäischen Trend. Und solange die Brexit-Frage nicht eindeutig geklärt ist, dürften sich die Gewinnaussichten der britischen Unternehmen nicht merklich verbessern. Auch eine kurzfristige Erholung für 2019 wird mutmaßlich nicht zu erwarten sein.
Krisenzeiten allerorten Wirtschaftsabschwüngen oder drohenden Rezessionen an den weltweiten Märkten ist man in den letzten Jahrzehnten vonseiten der Politik und Nationalbanken immer wieder mit wirtschaftsstützenden Maßnahmen wie etwa sukzessiven Zinssenkungen oder umfangreichen Konjunkturprogrammen begegnet. Ob diese Schritte jedoch auch in GB zur Anwendung gelangen und zum gewünschten Erfolg führen, ist zumindest als zweifelhaft einzustufen. So hat die Bank of England ihre Bilanz mittlerweile auf 23,3 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgeweitet. Zum Vergleich: Vor dem Brexit-Votum lag sie bei 16,6 Prozent des seinerzeitigen BIPs, und unmittelbar vor der Finanzkrise 2008 betrug dieser Wert gerade einmal 1,6 Prozent. Insofern dürften der britischen Notenbank bald die Möglichkeiten ausgehen, mit neuerlichen konjunkturstützenden Aktionen noch wirkungsvoll reagieren zu können.
Generell unterscheidet sich das Dilemma rund um den Brexit von bisherigen Krisen. Denn mit dem Brexit (und auch mit dem Verhalten der USA) scheint der globale Freihandel und damit die Globalisierung unter Umständen sein vorläufiges Ende gefunden zu haben. Diesbezüglich sollte man für 2019 jedoch nicht zu „schwarz“ malen. In diesem Zusammenhang zeigt eine Umfrage des deutschen Fondsverbands BVI, dass der Mehrheit seiner Mitglieder ein ungeordneter Brexit ohne Übergangsfrist keine Sorgen bereitet. Fast zwei Drittel der Fondsgesellschaften zeigen sich von einem ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU wenig oder überhaupt nicht betroffen. Nichtsdestotrotz sollte man aufgrund der Geschehnisse für 2019 mit einer globalen Entschleunigung im Wirtschaftswachstum rechnen. Ohne Brexit-Einigung innerhalb der kommenden Tage wird es wohl speziell in Europa und GB zu einem deutlichen Sinkflug der Konjunkturbewegung kommen. Aber gerade derartige Veränderungen bilden auch wieder die Basis für einen neuen Aufschwung und dabei gilt: Die nächste Hausse wird immer in der Baisse geboren!
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