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Blockchain-Technologie: Mitmachen oder untergehen?

Erst kürzlich präsentierte die MLP-Tochter Domcura ihre digitale Reisegepäckversicherung auf Basis der Blockchain-Technologie. Der Anbieter aus Kiel ist dabei kein Exot: So wendet etwa die AXA das Verfahren mit Fizzy, einer Flugausfall-Versicherung, ebenso an. Und auch Allianz, Generali und Co. experimentieren mittels gegründeter B3i Services AG reichlich mit der neuen Technologie. Blockchain und Versicherer in einem Boot: das scheint offenkundig zu funktionieren. Massentaugliche Produkte jedoch sucht man derzeit noch vergeblich. Abgesehen davon herrschen in der Branche beim Thema Blockchain noch viele Unklarheiten über deren konkrete Funktions und Wirkungsweise. Darüber hinaus wird diese Form der Technologie gerne mit denen von Bitcoin oder künstlicher Intelligenz (KI) sprichwörtlich in einen Topf geworfen. Dabei gibt es zentrale Unterschiede, wie Dr. Julian Hosp, einer der weltweit anerkanntesten Blockchainexperten, im exklusiven insider-Interview zu bestätigen weiß.

insider: Erklären Sie uns doch zunächst, worin der wesentliche Unterschied zwischen Blockhain und Bitcoin liegt?

Dr. Julian Hosp: Blockchain ist eine Verschlüsselungstechnologie, Bitcoin stattdessen ein Anwendungsfall dieser Technik. Kryptowährungen wie Bitcoin nutzen somit die Fertigkeiten einer Blockchain. Nicht nur der Besitz von Kryptowährungen kann dabei durch Blockchain verschlüsselt werden. Vielleicht noch weit zukunftsträchtiger ist der Einsatz der Blockchain in sensiblen Bereichen – Patientendaten, Kommunikation über WhatsApp, E-Mail, etc. oder auch Daten und Passwörter. Satoshi Nakamoto, der Erfinder von Bitcoin, hat somit keine atemberaubende Neuentdeckung gemacht. Er hat lediglich bekannte Methoden in nie da gewesener Art und Weise neu miteinander verknüpft und somit eine fälschungssichere Datenbank gebaut, die genau dokumentieren kann, zu welcher Zeit etwas passiert ist. Das System ist dabei so einfach wie genial.

insider: Auch die KI wird im gleichen Atemzug mit der Blockchain genannt. Inwieweit passen diese beiden Buzzwords zusammen?

Dr. Hosp: Um dies zu beantworten, muss ich zunächst ein wenig ausholen. Grundsätzlich erfordert die KI, so wie diese derzeit als Big-Data-Anwendung verstanden wird, großes Vertrauen in eine zentrale Instanz, die möglichst viele Daten einsammelt, klassifiziert und auswertet. Umso mehr Daten von dieser Stelle eingesaugt werden, desto umfangreicher können diese analysiert werden, um „intelligent“ erscheinende Ergebnisse für Kaufempfehlungen, Sicherheitswarnungen oder andere digitale Dienstleistungen zu errechnen. Um an dieser Stelle erfolgreich zu agieren, ist es somit wichtig, personalisierte Kundendaten aus vielzähligen externen Quellen zu einem großen Datenpool zusammenzuführen, auf diesen ein Algorithmus möglichst uneingeschränkt zugreifen kann. Blockchain stattdessen steht für Dezentralität, Unveränderlichkeit der Datenketten, Sicherheit sowie Transparenz.

insider: Lässt sich das KI-System – bzw. dessen Fähigkeit Informationen einzuholen und zu verarbeiten – somit nicht mit der Blockchain-Technologie verbinden?

Dr. Hosp: Natürlich ist es auch bei der Blockchain möglich, die Big-Data-KI-Algorithmen einzusetzen. Das System Blockchain steht jedoch vielfach für eine Pseudonymisierung von Informationen wie personenbezogener Daten. Damit ein Zusammenspiel zwischen KI und Blockchain indes mehrwertbehaftet ist, bedarf es der Zusammenführung von Blockchain mit personalisierten Daten aus anderen Quellen. Ein solches Vorgehen stößt insbesondere innerhalb der Krypto-Community, die besonders hohen Wert auf ihre Privatsphäre legt, noch auf großen Widerstand. Eine Kombination aus KI und Blockchain ist daher nicht undenkbar, allerdings gilt es, damit vorsichtig umzugehen.

insider: Dennoch werben einzelne vermeintlich hippe Fin- oder Insur-Techs damit, dass sie KI und Blockchain optimal zusammenführen. Was denken Sie über die Ankündigungen dieser Companies?

Dr. Hosp: Zuallererst lässt sich abseits aller ethischen und moralischen Fragen rund um die KI feststellen, dass bis zum heutigen Tag noch viele Fragen offen sind, wenn es sich um die Realisierbarkeit einer generalisierten KI handelt. Dennoch werden sie immer wieder Start-ups auf Blockchain-Events treffen, die den Durchbruch im KI-Bereich in Verschmelzung mit dem Schlagwort Blockchain verkünden. Dabei zeigt sich schnell, dass diese Companys generell mehr versprechen, als sie bisherig in der Lage sind zu liefern. So geht es den Start-ups zuallererst darum, mit dem Modewort Blockchain notwendiges Fundraising zu betreiben. Auf der anderen Seite forschen zentralisierte Firmen wie Google oder Facebook seit Längerem, wie sich Blockchain und KI möglicherweise im Zusammenspiel nutzen lassen. Solche Integrationsansätze haben dabei nichts mit den falschen Versprechen einiger anderer Firmen in diesem Bereich zu tun.

insider: In China und den USA hat die Blockchain-Technologie bereits ziemlich viel Einfluss bei Versicherern oder Banken in Bezug auf das digitale Produktangebot: Wie schätzen Sie dahingehend die Lage für Deutschland oder Europa ein?

Dr. Hosp: Von Kontenabwicklung über Anlagestrategien bis hin zu Vertragsmanagement bzw. Schadensabwicklung als auch Leistungsaus- und Prämieneinzahlung: Etliche Prozesse können bei Banken und Versicherern über die Blockchain effizienter aufgebaut werden. Hinzukommen werden neue innovative Produktangebote als auch Anbieter. Im Ergebnis wird dies etliche Umstrukturierungen in der Branche mit sich bringen. Für Deutschland und/oder Europa wird es wichtig sein, spätestens jetzt auf den Blockchain-Zug aufzuspringen, um den Weg durch passende Regulierung freizumachen. Es ist keine Frage mehr, ob die Entwicklung dahingehend stattfindet, sondern vielmehr, wie diese konkret aussehen wird. Ähnlich wie beim Aufstieg des Internets werden jene Unternehmen verlieren, die Blockchain als Technik nicht akzeptieren oder ignorieren und daher nicht schnell genug handeln.

insider: Aktuell findet man in Deutschland nur einzelne Versicherungslösungen beim Thema Blockchain. Was wäre Ihrer Ansicht nach ein massentaugliches Versicherungsprodukt?

Dr. Hosp: Ein großer Disruptor wäre wohl ein Versicherungsprodukt auf Basis eines Smart Contracts, welches Schadensfälle mit Hilfe von so genannten Orakeln abwickeln könnte. Dank Einsatz von Data-Analytics u. v. m. lässt sich somit etwa ein Schadensfall automatisiert, kostengünstig und sicher regulieren. Zudem würde eine Verschleppung bei der Zahlung im Schadenfall durch ein solches System komplett wegfallen. Ähnlich wie Bitcoin wäre es theoretisch möglich, dass dieses Projekt jahrelang unter dem Radar wächst, bevor die Regulatorik aufmerksam wird. So könnte eine dezentrale, schwarmfinanzierte Versicherung geschaffen werden, die dem Versicherungsmarkt nach und nach Kunden entzieht oder vorenthält, lange bevor es von den
Branchenvertretern überhaupt bemerkt würde. Dafür ist jedoch noch einiges an Vorarbeit zu leisten. Bislang gibt es das Konzept nur in der Theorie. Was Versicherungen daneben intern und gegenüber ihren Rückversicherern durch Blockchain abbilden werden, um ihre möglicherweise sehr alten IT-Strukturen effizienter zu gestalten, dürfte für den Endkunden relativ unspektakulär und wahrscheinlich unbemerkt bleiben. Der Effekt, etwa bezüglich Kostenoptimierung
durch automatisierte Prozesse, wird wegweisend sein.

insider: Wo zeigt die Blockchain beim Thema Versicherungsprodukte noch Schwächen?

Dr. Hosp: Ein großer Kritikpunkt, der jede Blockchain-Anwendung betrifft, ist die Verwaltung des Private-Keys. Verliert ein Nutzer diesen Zugang, so hat er keine Möglichkeit mehr an seine Assets, respektive in diesem Fall Versicherungsleistung, heran zu kommen. Solange es demnach keine massentaugliche Möglichkeit gibt, den Private-Key für immer zu speichern, wird man auf eine Hybridlösung zurückgreifen müssen. Bereits aus diesem Grund kann es durchaus noch einige Jahre dauern, bis erste Lösungen für die breite Masse auf dem Markt sind.

insider: Welche Auswirkungen wird diese neue Welt auf den Versicherungs- bzw. Anlagevermittler haben?

Dr. Hosp: Versicherungs- und Anlagevermittler müssen sich schon heute dem Wettbewerb mit Vergleichsportalen und Online Vermittlungsmöglichkeiten stellen. Verbraucher werden dabei auch für Versicherungsverträge, die im Inneren mit Blockchain oder Smart-Contract-Technik arbeiten, einen kompetenten Berater benötigen, der ihnen bei der Produktauswahl hilft. Sollte es darüber hinaus erforderlich sein, dem Kunden den Umgang mit Private-Keys oder Wallets zur Verwaltung der Versicherungsverträge zu erklären, könnte diese Aufgabe zusätzlich von Vermittlern übernommen werden. Da Blockchain-Prozesse transparent abgebildet werden können, müssen sich Vermittler jedoch darauf einstellen, dass die Provisionen
öffentlich eingesehen werden können. Daher wird das Provisionsmodell, wie es derzeit praktiziert wird, meines Erachtens langfristig nicht haltbar sein. Eine Honorarvergütung ist künftig realistischer. Dieser Aspekt könnte auch den Vergleichsplattformen zum Verhängnis werden, da die Nutzer auf einmal sehen können, wie viel Provision die Plattformen dank der Vermittlung erhalten.

 

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