Warum Sicherheit und Garantie nicht dasselbe sind

Apr 2, 2018

Vor dem Hintergrund der aktuellen Niedrigzinsphase wird oft behauptet, dass Altersvorsorgeprodukte mit Garantien grundsätzlich nicht mehr sinnvoll seien, weil Garantien zu teuer sind. In dieser Pauschalität ist diese Aussage natürlich schlicht falsch. Dennoch ist die Frage berechtigt, welche und wie viele Garantien ein konkreter Kunde für eine bedarfsgerechte Altersvorsorge wirklich benötigt.

Die meisten Menschen setzen dabei intuitiv Sicherheit mit einer (nominellen Kapital-)Garantie gleich. Dies ist aber nicht immer korrekt. Der Unterschied zwischen Sicherheit und Garantie zeigt sich in zwei Aspekten.

Abbildung 1 Unsicherheitsfaktoren trotz nomineller Garantie
Sicherheit geht auch ohne Garantie
Erstens kann man durch geeignete Kapitalanlagestrategien ein gewisses Maß an Sicherheit auch ohne Garantien erzeugen. Hier sind beispielsweise Lebenszyklusmodelle oder volatilitätsgesteuerte Anlagekonzepte zu nennen. Letztere erhöhen die Aktienquote in ruhigen Börsenphasen und reduzieren sie wieder, wenn die Märkte stärker schwanken. Insbesondere bei langen Zeiträumen wie in der Altersvorsorge ist so ein gewisses Maß an Sicherheit auch ohne Garantie möglich. Die fehlende Garantie bewirkt im Gegenzug langfristig ein höheres Renditepotenzial.
Garantie bedeutet nicht automatisch Sicherheit
Zweitens kann zu viel Garantie die Sicherheit sogar reduzieren, also das Risiko erhöhen. Diese Aussage wirkt auf den ersten Blick unsinnig. Sie ist aber korrekt, wenn man berücksichtigt, dass sich Garantien meist auf einen „nominellen Eurobetrag“ beziehen. Für die meisten Kunden ist jedoch die Kaufkraft wesentlich relevanter. Zu viel Garantie in Euro kann das Risiko in Bezug auf die Kaufkraft erhöhen.

Die Grafik verdeutlicht dies. Hier betrachten wir vereinfachend ein in Bezug auf die nominelle Leistung absolut sicheres Produkt, welches in 30 Jahren exakt 100.000 € leistet (ohne Chance auf mehr und ohne Risiko auf weniger). Die Kaufkraft der 100.000 € ist aufgrund der Inflation aus heutiger Sicht jedoch unsicher. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Werte der Kaufkraft zeigt die obere Kurve in der Grafik. Im aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Szenario haben die 100.000 € in 30 Jahren nur noch eine Kaufkraft von etwa 50.000 € in heutigem Geld. Es sind aber auch deutlich höhere und deutlich niedrigere Werte möglich. Das vermeintlich allersicherste Produkt ist in Bezug auf die Kaufkraft der Ablaufleistung also alles andere als sicher.

Setzen wir das Gedankenspiel fort und nehmen wir an, dass sich der Kunde in 30 Jahren von den 100.000 € eine lebenslange Rente kauft. Deren Höhe hängt von dem dann gültigen Rentenfaktor und damit vom Zinsniveau und der Lebenserwartung in 30 Jahren ab. Auch diese Größen und somit auch die Höhe der Rente sind aus heutiger Sicht unsicher, wie die untere Wahrscheinlichkeitsverteilung zeigt.

Wirklich relevant ist aber die Kaufkraft der lebenslangen Rente. Diese ist sowohl von der Höhe der Inflation, als auch von der Höhe des Rentenfaktors abhängig und wird in der Grafik ganz rechts illustriert. Die blaue Kurve zeigt, welche Werte die Kaufkraft der ersten Monatsrente mit welcher Wahrscheinlichkeit erreichen kann. Die Inflation verändert aber die Kaufkraft der Rente auch nach Rentenbeginn weiter. Die gelbe Kurve beschreibt die mögliche Kaufkraft der Rente im zwanzigsten Jahr des Rentenbezugs. Umdenken nötig.

Eine Reduktion der nominellen Kapitalgarantie könnte die Chance auf eine höhere Kaufkraft der Rente erhöhen. Es wird aber voraussichtlich
sehr schwierig, dieses Umdenken in den Köpfen zu verankern, zumal alle derzeitigen Transparenzinitiativen zu Chancen und Risiken von Altersvorsorgeprodukten ausschließlich das Risiko in Bezug auf die nominelle Kapitalleistung bewerten und die Rentenhöhe sowie deren Kaufkraft komplett ignorieren. Um Missverständnisse zu vermeiden: Diese Ausführungen sind kein generelles Plädoyer gegen Garantien. Wir möchten aber
sensibilisieren, dass zu viele oder „falsche“ Garantien in der Altersvorsorge schädlich sein können. In der nächsten Ausgabe beschäftigen wir uns daher mit der Frage, welche Garantien für welchen Teil des Geldes der Kunden sinnvoll sind.

ZUR PERSON
Apl. Prof. Dr. Jochen Ruß
Ist Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften. Zu den Schwerpunkten seiner Beratungstätigkeit gehören die Entwicklung innovativer Lebensversicherungsprodukte, insbesondere Garantieprodukte, sowie finanzmathematische Themen im Bereich der Lebensversicherung und des Zweitmarktes für Lebensversicherungspolicen. Für seine Forschungsarbeiten wurde er mit neun Forschungspreisen in Australien (1997 und 2000), Singapur (1998) und Deutschland (1999, 2000, 2004, 2006, 2009 und 2017) ausgezeichnet. Er lehrt an der Universität Ulm, der LMU München sowie an der European Business School.
ZUR PERSON
Dr. Alexander Kling
Ist Partner am Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm. Hauptschwerpunkt seiner Beratungstätigkeit ist die Entwicklung innovativer Lebensversicherungsprodukte. Er war in den vergangenen Jahren an der Entwicklung einiger zentraler Innovationen im Bereich kapitalmarktnaher Produkte mit Garantien beteiligt. Alexander Kling promovierte 2007 an der Universität Ulm. In diesem Zusammenhang ist er Autor von mehreren Fachpublikationen. Er ist Lehrbeauftragter der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Mitglied der Deutschen Aktuarvereinigung e. V. (DAV). Für die DAV ist er als Dozent im Rahmen der Aktuarausbildung im Bereich „Spezialwissen Leben“ tätig.