BCA insider 04/2022

R U N D U M L E I T T H E M E N H E A D L I N E S & I N S I G H T S 1 7 Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage ausgleichen. Weiterhin hoch ist die Teuerung dagegen bei Dienstleistungen und insbesondere bei den Wohnkosten, wo die nachlassende Dynamik am Immobilienmarkt erst mit deutlicher Verzögerung für Entspannung sorgen wird. Gleiches gilt für die Arbeitskosten, auch wenn der Lohndruck zuletzt nicht weiter zugenommen hat. Alles in allem wird die Inflation im Winterhalbjahr sinken, aber weniger rasch als erhofft. Dafür spricht auch, dass der Preisschub durch die überdimensionierten CovidFiskalprogramme der Jahre 2020 und 2021 noch nicht vollständig absorbiert ist und noch bis 2024 einer Rückkehr auf zwei Prozent entgegenwirkt. Zinswelle rollt, warten auf „Peak Hawkishness“ Das Tempo der Zinsanhebungen hat global deutlich zugenommen. Noch ist kein Ende zu sehen, auch da die Effekte auf die Inflation bisher gering sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in vielen Ländern vor allem starke Fiskalimpulse und Angebotsengpässe die Auslöser des Preisschubs waren. Die Fed wird die Zinsen deshalb weiter anheben. Zum Jahresende dürfte der Leitzins bei rund 4,5 Prozent liegen und damit erstmals wieder oberhalb der Kerninflation. Sobald sich diese in einem überzeugenden Abwärtstrend befindet, dürfte der Zinsgipfel erreicht sein. Eine Voraussetzung ist, dass sich die Anspannung am Arbeitsmarkt – gemessen vor allem am Missverhältnis von offenen Stellen und Jobsuchenden – zurückbildet. Hier gab es zuletzt erste positive Signale. Ab Dezember könnte die Fed deshalb die Höhe der Zinsschritte reduzieren und so etwas Druck aus den Zinserwartungen nehmen. Dies ist auch deshalb so zentral, da die höheren US-Zinsen zusammen mit dem starken US-Dollar für einen zunehmenden Druck auf die Notenbanken und die Finanzierungskonditionen in vielen Ländern sorgen. Dies gilt neben den Emerging Markets auch für Europa, Japan und China. „Peak Hawkishness“ der Fed ist deshalb eine notwendige Bedingung für die Wende am Finanzmarkt. Angesichts des hohen Tempos der Zinsanhebungen und der erheblichen Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik auf die Realwirtschaft und damit die Inflation ist das Risiko eines „overtightening“ deutlich gestiegen. Ein weiteres Risiko für die Treasury-Märkte liegt in einer unerwarteten Aufwärtskorrektur der Laufzeitprämien im Zuge der angekündigten Abschmelzung der Bilanz (QT). Auch bei der Geldpolitik ist die Lage in Europa noch deutlich schwieriger. Die EZB steuert auf ein echtes Dilemma zu. Die Inflationsdynamik und der Abwärtsdruck auf den Euro legen eine weitere Straffung der Zinsen auf deutlich über zwei Prozent nahe. Auf diesen Niveaus wird der Markt aber früher oder später die Entschlossenheit der EZB testen, die Risikoprämien der Mitgliedsstaaten und damit die Stabilität der Währungsunion zu verteidigen. Zudem ist die Fiskalpolitik in den Euro-Ländern wieder expansiver ausgerichtet, da die Staaten erhebliche Mittel zur Entlastung der Haushalte und Stabilisierung der Energieversorger aufwenden müssen. Dieser Impuls liegt bei rund fünf Prozent des BIP. Der für eine Begrenzung des Inflationspotenzials notwendige Liquiditätsabbau über eine quantitative Straffung ist in Europa deshalb wenig realistisch. Warten auf die Wende am Finanzmarkt Das Timing eines Richtungswechsels am Finanzmarkt ist stets schwierig. Voraussetzung ist in jedem Fall ein Abebben der Zinswelle, insbesondere „Peak Hawkishness“ der Fed. Diese könnte zum Jahreswechsel erreicht sein. Daneben sind für uns das konjunkturelle Umfeld und die externen Einflüsse sowie die Gewinnaussichten, die Bewertungen und das Sentiment entscheidend. Und auch hier mehren sich die Anzeichen, die ein positiveres Marktumfeld im Laufe der kommenden Monate erwarten lassen. Bis dahin heißt es: Pulver trocken halten und auf Geschäftsmodelle setzen, die in volatilem Umfeld stabile Margen erwirtschaften. Der Blick auf die Zeit nach der Zinswende verspricht ein Comeback der strukturellen Wachstumsfelder, u. a. im Bereich der Digitalisierung. Denn das neue Normal dürfte wieder geprägt sein von nur moderater realer Wirtschaftsdynamik bei nachhaltig höherer Inflation. Wo noch Wachstum zu finden ist, dürfte dann wieder die entscheidende Frage sein. Dr. Johannes Mayr Chefvolkswirt Eyb & Wallwitz Vermögens- management GmbH E-Mail: sales@eybwallwitz.de Telefon: +49 69 2731148-00 Europa mit historischem Verlust im Außenhandel Handelsbilanz, in Prozent am BIP Quelle: Refinitiv, Eyb & Wallwitz,September 2022 © olegganko – stock.adobe.com

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