BCA insider 01_2023

5 5 B E R A T U N G der Flüchtlinge noch an denen der Wirtschaft oder der Gesellschaft ausgerichtet ist. Das bringt den Diskurs auf ein Niveau der Angstmacherei, bei dem ein Prozent der Geflüchteten ca. 99 Prozent der Diskussion ausmachen. Meine Familie war von Abschiebung bedroht, obwohl wir eine hart arbeitende Familie mit zwei Kindern auf dem Gymnasium waren, was nach Migrationspolitik unzureichend war und ist. Alle meine Freunde, die auch nach Deutschland geflüchtet sind und bleiben konnten, tragen trotz aller Herausforderungen positiv zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben bei, trotz aller zusätzlich ausgesetzten Herausforderungen. Das ist auch für mich ein Zeichen, dass der Wille der geflüchteten Menschen enorm ist. Für meine Freunde und mich ist die Beziehung zu Deutschland vielschichtig, und dazu gehört auch der Begriff Heimat. Den Heimatbegriff an sich verbinde ich eher mit lieben Menschen als mit Ländern, weil ich mich auch in anderen Ländern mit den richtigen Menschen so wohl wie zu Hause fühle. : Anders als das Gros der sog. Jungfußballer sind Sie über sehr ungewöhnliche und spannende Wege im Profifußball angekommen. Ihre erste Profistation in Deutschland war Mainz unter der Ära von Jürgen Klopp. Wenn Sie ihn in ein paar kurzen Sätzen beschreiben würden, was ist er für Sie? Subotić: Klopp war mein erster Profitrainer und wurde direkt zum Vorbild und Vertrauten. 17 Jahre alt und alleine in Deutschland, war es Klopp, an dem ich mich orientieren konnte. Und wer würde das nicht tun: Er ist authentisch, ehrlich, zielstrebig, intelligent und dabei sehr respektvoll. Klopp wärmt jeden Raum mit seiner freundlichen und humorvollen Art. Das Schöne ist: Von meinem 17. bis zu meinem 27. Lebensjahr durfte ich das hautnah, vertrauensvoll und mit großem Erfolg miterleben. : Beim BVB haben Sie damals Meisterschaften und Pokalsiege gefeiert: Wer war in dieser starken Truppe eigentlich spielerisch der beste und wer der verrückteste Profi? Subotić: Wir hatten eine wahnsinnige Truppe mit Spielern, die bei uns ihre besten Leistungen gezeigt haben. Für mich war der kompletteste Spieler, der nicht den besten Start hatte, aber seitdem zu den Top Drei der Welt gehört, Robert Lewandowski. Er war fokussiert, ehrgeizig und gedanklich immer zwei Schritte voraus. Verrückte Profis gab es auch einige, ein besonderer Charakter ist sicher Kevin Großkreutz, der auf dem Platz und für den Verein sein Herz gelassen hat und auch ein Integrationsexperte war. Abends stattdessen hatte er nicht immer seine Glanzstunden. : Das Leben als Profifußballer verbindet man mit Geld, Ruhm, dicken Autos usw. Was hat diese Fußballerrolle mit Ihnen gemacht und wann kam der Sinneswandel? Wie haben Sie dann als Außenseiter in diesem Fußballsystem gelebt? Subotić: Am Anfang war alles neu, glänzend, und ich wollte die Rolle auch ausprobieren, denn es schien, als müsse ich in sie hineinwachsen. Gleich ob Partys oder Luxusgüter: Was am Anfang noch lustig oder neu war, erschien mir nach einiger Zeit jedoch sinnlos, zeitraubend und langweilig; denn in der Realität ist es nichts wert. Ich f ing an zu lesen, freundete mich mit Leuten an, die ich interessant fand und die selbst z. B. Philosophie, Literatur oder Geschichte studierten. Außerdem wuchs ich aus der Rolle des engagierten Prominenten heraus und fand mich selbst- und gesellschaftskritisch genug, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Das hat mich mitgerissen und mir war es dann auch egal, ob das jemand cool oder untypisch f indet, weil ich sportlich auf dem gleichen Weg geblieben bin. Aber bei den Vereinen, vor allem bei den Funktionären, die sich keine Welt außerhalb des Fußballs vorstellen können, ist meine Entwicklung negativ aufgefallen, und das wurde mir auch deutlich gemacht. : Sie kritisieren das Fußballsystem, in dem Millionen an Spieler bezahlt werden, die quasi wie in einem Zirkus oder Film eine Rolle spielen. Das ist sehr mutig. Teilt die Sportlerwelt eigentlich Ihre Einschätzung? Subotić: Ganz so mutig finde ich das gar nicht, schließlich habe ich nicht viel zu verlieren. Die Leute, die mich kennen, auch aus der Branche, wissen, wofür ich stehe, und für die ist das nicht neu. Ich habe sehr viel mit Spielern, Trainern, Fans und Funktionären gesprochen. Deren Meinungen hierzu sind unterschiedlich, weil jeder auch andere Perspektiven und (Eigen-)Interessen hat. Generell hat jedoch niemand großes Interesse, dass der Sport vollumfassend kommerzialisiert wird. Aber es ist kein Geheimnis, dass die Entscheidungsgewalt in den Händen derer liegt, die womöglich eine andere Sichtweise haben. : Zeigt uns das Beispiel Katar mit all seinen Facetten, wie die WM-Vergabe und das Fußballbusiness in Zukunft ablaufen werden? Gibt es irgendeine Option, dieses System zu verändern? © Patrick Temme, Philipp Nolte Gespräche mit den Frauen in Gaba schaffen Vertrauen.

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