insider Ausgabe 02/20 Online

GRUNDRENTE: LANGE MÄNGELLISTE UND UTOPISCHER ZEITPLAN och zunächst: Was bringt die Grundrente und wer bekommt sie? Geplant ist ein Rentenzuschlag, der unabhängig von einer nachzuweisenden Bedürftig- keit gezahlt wird. Letzteres war der SPD so wichtig, dass sie daran sogar die Koalition hätte scheitern lassen. Die CDU ging nach anfänglichem Widerstand auf diese Forderung ein. Grundrente erhält, wer mindestens 33 Jahre „Grundrentenzei- ten“ erworben hat. Das sind vor allem Zeiten, in denen Pflicht- beiträge aufgrund einer Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit an die gesetzliche Rentenversicherung geleis- tet wurden. In Abhängigkeit von den individuell erworbenen Entgeltpunk- ten bekommen die Versicherten einen Zuschlag auf die Rente bis zur Grenze von 0,8 Entgeltpunkten. Das heißt, sie werden für diese Grundrentenzeit nachträglich so gestellt, als ob sie 80 Prozent des Durchschnittsverdienstes hatten. Um harte Abbruchkanten zu vermeiden, gibt es eine Gleitzone. Ande- renfalls tritt nämlich der Fall auf, dass ein Versicherter, der 35 Jahre in Teilzeit einigermaßen verdient hat, einen Aufschlag bekommt. Ein anderer mit 34 Jahren und elf Monaten Vollzeit und geringem Einkommen ginge dagegen leer aus. In dieser Gleitzone von 33 bis 35 Jahren Grundrentenzeit steigt der Zu- schlag nach einer Staffelung an. Komplexität der Grundrente ist gewaltig Arbeitsminister Heil war es besonders wichtig, dass die Grundrente automatisch gezahlt wird, also ohne jegliche An- tragstellung. Damit beginnen die eigentlichen Probleme. Die Deutsche Rentenversicherung muss jeden Bestandsrentner überprüfen. Die vorgesehene weitgehende Automatisierung der Einkommensprüfung wird nämlich nicht funktionieren. Das hat die Rentenversicherung schon eindringlich ange- mahnt. Mittlerweile kursieren Zahlen von mehreren Tausend Es war ein zähes Ringen: In der zweiten Februarhälfte einigte sich die Bundesregierung schließlich auf einen Entwurf für das Gesetz zur Einführung einer Grundrente für langjährig Versicherte. Grund zur Erleichterung bot der Kabinettsbeschluss dennoch nicht. Das Anliegen, eine Mindestabsicherung im Alter für jene zu gewährleisten, die ein längeres Berufsleben hinter sich haben, ist durchaus anerkennenswert. Aber gut gemeint heißt noch lange nicht gut gemacht. Die Grundrente in der jetzt konzipierten Form enthält eine Vielzahl handwerklicher Fehler und weckt Hoffnungen, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden können. 40 neuen Sachbearbeitern, die die Rentenversicherung einstellen muss. Jeder Arbeitgeber, der heute freie Stellen zu besetzen hat, fragt sich da, wo diese Arbeitskräfte herkommen sollen. Selbst wenn es gelänge, diesen Beschäftigungsaufbau in den nächsten Monaten zu bewältigen, steigen damit die Ver- waltungskosten der Deutschen Rentenversicherung spürbar. Den Aufwand für die Prüfung und Auszahlung der Grundren- te schätzt die Rentenversicherung selbst auf mehrere 100 Millionen Euro bzw. mehr als 25 Prozent der Leistungsausga- ben. Das wäre ein Vielfaches des Verwaltungskostensatzes, den die Rentenversicherung bislang hat. Pünktlicher Start nicht realisierbar Doch es entsteht neben dem eigentlichen Kostenproblem noch ein zeitliches. Die Rentenversicherung hat schon sig- nalisiert, dass sich der für die Einkommensprüfung geplan- te Datenaustausch mit den Finanzämtern bis Anfang 2021 nicht aufbauen lässt. Experten, die sich mit solchen Daten- systemen in Behörden auskennen, gehen von mindestens zwei Jahren aus. Der Starttermin der Rente – sie soll bereits ab Januar 2021 gezahlt werden – lässt sich also gar nicht hal- ten. Diese Gefahr sieht offenkundig auch der Minister selbst, obwohl er es öffentlich nie zugeben wird. Aber er hat nach dem Kabinettsbeschluss einen Brief an die Präsidentin der Rentenversicherung geschrieben und sie aufgefordert, schon mal mit den Vorbereitungen zu beginnen, um bloß keine Zeit zu verlieren. Eine große Behörde wird also von einem Minister aufgefordert, ohne gesetzliche Grundlage eine einschneiden- de Veränderung am Rentensystem vorzunehmen. Das ist ver- waltungsrechtlich äußerst fragwürdig. Abenteuerlich fällt auch die Finanzierung aus. Die Schätzun- gen des finanziellen Aufwandes der Grundrente sind zu kurz- © jirsak - stock.adobe.com

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