insider Magazin Ausgabe 5
Ist „Value“ tot? Nicht wenige haben deshalb das Ende klassischer Value-Stra- tegien ausgerufen. „Klassisch“ meint dabei die Orientierung an niedrigen Kurs-Buchwert- und Kurs-Gewinn-Verhältnis- sen. Dieses Vorgehen greife ganz offensichtlich zu kurz. Für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist eben nicht das Verhältnis seines aktuellen Börsenwertes zum vorhandenen Eigenkapital oder den aktuellen Gewin- nen entscheidend. Auch viele der Fondsmanager, die sich selbst als „Value-Investoren“ verstehen, erklären, weniger auf diese klassischen Kennzahlen zu achten als auf „preiswerte Qualität“. Eine günstige Bewertung in diesem „erweiterten Value-Sinn“ zeigt sich eher in der Bewertung relativ zum frei- en Cashflow, aber auch in Aspekten der Positionierung des Unternehmens, bspw. der Markteintrittsbarrieren, oft „Burg- gräben“ genannt, die vor unliebsamer Konkurrenz schützen. (1.) Konjunktur- und Krisenängste : Die schwere Baisse vom Sommer 2007 bis zum Frühjahr 2009 war die Zweite innerhalb eines Zehn-Jahres-Zeitraumes, die die bis dahin geltenden, meist aus Vergangenheitsstatistiken abgeleiteten Risiko-Szenarien übertraf. Sowohl die „gefühlten“, weil selbst erlebten, als auch empirisch-statistischen Risiken der Aktien- anlage als solcher sind seitdem höher. Zudem verschwanden die Ängste vor neuerlichen Störungen der Weltwirtschaft und neuen Rezessionen nicht. Dies hat innerhalb der Asset- Klasse Aktie zu langfristig veränderten Präferenzen geführt: Bevorzugt werden Aktien von Unternehmen, die als konjunk- tur- und krisenunempfindlich gelten. Investoren sind bereit, für Qualität und Wachstum Prämien zu zahlen, weil sie sich davon geringere Risiken versprechen. (2.) Die Bevorzugung von Qualitäts- und Wachstumsaktien profitiert zudem von einem Selbstverstärkungseffekt , weil die gute Performance von Technologie-/Wachstumsaktien diese Einschätzung vermeintlich bestätigt. Im MSCI World Growth ist das Gewicht von Technologieaktien auf gut 22 Prozent gestiegen. Die wachsende Beliebtheit von passiven Strategien und Momentum-Ansätzen bringt ebenfalls Selbst- verstärkungseffekte, von denen die Aktien profitieren, die in der jüngeren Vergangenheit die bessere Performance vorwei- sen können. (3.) Null- und Niedrigzinsumfeld : Seit der schweren Baisse haben die Notenbanken in den etablierten Volkswirtschaften eine nie zuvor in diesem Umfang praktizierte Null-, Niedrig- oder sogar Negativzinspolitik verfolgt. Rechnerisch ist bei Nullzinsen ein in ferner Zukunft liegender Gewinn genauso viel wert wie ein gegenwärtiger Gewinn. Erst bei steigenden Zinsen werden zukünftige Gewinne durch ihre Abzinsung auf die Gegenwart weniger wert. Nullzinsen begünstigen also Wachstumsaktien und belasten indirekt Substanzwerte. (4.) Hinzu kommen noch sektorspezifische Gründe . So leiden Banken, die i. d. R. dem Value-Lager zuzurechnen sind, unter dem Zinsumfeld. Finanzwerte haben im MSCI World Value ein hohes Gewicht (24,6 Prozent). Eine teure Anpassung an neue Gegebenheiten durchläuft auch die Automobilindus- trie: Abgasskandal, Umstellung auf nachhaltige Antriebe und autonomes Fahren bescheren den Konzernen hohe Kosten. Und auch die Aktien der Ölkonzerne, die in den vergangenen Jahren unter dem Einbruch der Ölpreise litten, werden mehr- heitlich Value zugerechnet. Ihr Gewicht liegt im MSCI World Value bei immerhin 8,8 Prozent gegenüber nur 1,6 Prozent im Growth-Index. Fazit: Anhaltende Konjunktursorgen, niedrige Zinsen und die Quasi-Monopole der großen US-Technologieaktien haben ein Umfeld geschaffen, in dem zentrale Annahmen des „Va- lue Investings“ außer Kraft gesetzt scheinen. Allerdings hat sich die Schere zwischen Growth und Value so weit geöffnet, dass eine Gegenbewegung nicht überraschen würde. Denn die lange Bevorzugung von Wachstumsaktien hat diese in- zwischen sehr teuer und Substanzaktien gleichzeitig billig ge- macht. Das Viertel der imMSCI Europe enthaltenen Aktien mit dem höchsten Kurs-Buchwert-Verhältnis kostet inzwischen das Vierfache des Eigenkapitals, während das billigste Quartil ohne Aufschlag auf den Buchwert zu haben ist. Insgesamt teurer ist der US-Aktienmarkt: Im S&P-500-Index kostet das teuerste Viertel der Aktien inzwischen rund das Sechsfache des Buchwertes, das billigste Viertel immerhin den doppel- ten Buchwert. Mit einer möglichen Konjunkturbelebung, einer Rückkehr zu höheren Zinsen oder aufkommenden Zweifeln am dauerhaften Erfolg der Wachstumswerte könnten sich Value-Strategien zurückmelden. << Dirk Arning Vorstand Drescher & Cie AG E-Mail: kontakt@drescher-cie.de Telefon: +49 2203 20299-0 25 FÜR DAS SCHLECHTE ABSCHNEIDEN VON VALUE- ZU GROWTH-INVESTMENTS GIBT ES RÜCKBLICKEND EINE REIHE VON GRÜNDEN:
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NzA3OTc4