insider Ausgabe 03/19 Online
8 einer eher lockeren Geldpolitik. Benoît Coeuré genießt als erfahrener Ökonom und Mitglied des EZB-Direktoriums sehr hohes Ansehen innerhalb der Zen- tralbank. Überraschend einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU aber auf die Direktorin des Inter- nationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, als künftige Präsidentin der EZB. Mit ihr konnten sich offenbar so- wohl Deutschland als auch die Südeuro- päer anfreunden. Die französische Juris- tin bringt als IWF-Direktorin zumindest Erfahrung der Sanierung überschul- deter Staaten mit, einem Problem, das bald nach Europa zurückkehren könnte. Wer regiert Deutschland? Die Stimmenverluste für die in der größten europäischen Volkswirtschaft regierenden Koalitionsparteien wer- fen zudem die Frage auf, wie stabil die deutsche Regierung ist und wie sie sich nach den nächsten Bundestags- wahlen zusammensetzt. Vorgezogene Neuwahlen werden von Beobachtern nicht ausgeschlossen. Sonst dürfte der Termin im Herbst 2021 liegen. Laut ak- tuellen Umfragen kann keine der bisher auf Bundesebene erprobten Koalitio- nen eine Mehrheit erreichen. Es gäbe rechnerisch nur eine denkbare Zwei- Par teien-Koa- lition, nämlich zwischen Union und Grünen. Die beiden ande- ren Koalitions- möglichkeiten, die auf Basis der derzeitigen Umfragen machbar erscheinen, setzen voraus, dass sich jeweils drei Parteien einigen: eine schwarz-rot-grüne Koali- tion aus Union, SPD und Grünen, auch „Kenia-Koalition“ genannt, oder eine sogenannte „Jamaika-Koalition“ zwi- schen Union, FDP und Grünen. Eine Beteiligung der Grünen an der nächsten Bundesregierung ist also im Lichte der Europawahl noch wahrscheinlicher ge- worden. Nachhaltigkeit wird Mainstream Auch auf europäischer Ebene ist es zu einer Stärkung grüner Parteien ge- kommen. Dies müssen die regierenden Parteien vor allem als Quittung für ihre halbherzige Klimapolitik verstehen. Ob- wohl die Bekämpfung des Klimawan- dels nach dem Weltklimagipfel in Paris zum Staatsziel werden musste, wurde der CO 2 -Ausstoß praktisch nicht redu- ziert. Deutschland und Polen wollen ihre Kohlekraftwerke noch Jahrzehnte lang weiter betreiben. Doch gegen den Klimawandel werden sich zukünftige Wahlen noch weniger gewinnen las- sen. Der Ausgang der Europawahl dürf- te die EU hinsichtlich ihres Aktionsplans Financing Sustainable Growth bestär- ken. Zentrale Punkte der europäischen Gesetzgebungsinitiative sind dabei eine Nachhaltigkeits-Taxonomie, Standards für Grüne Anleihen und die Weiterent- wicklung der Klimaberichterstattung von Unternehmen. Zu den Zielen ge- hören erklärtermaßen die Lenkung von Kapitalströmen, die Verankerung von Nachhaltigkeit im Risikomanagement und die Förderung von Transparenz und Langfristigkeit in der Kapitalanlage. Das Thema „Nachhaltigkeit“ ist sowohl in der Real- als auch in der Finanzwirt- schaft angekommen. << … und wer EZB-Präsident? Ohne Einigung auf einen neuen Kom- missionschef schien zunächst auch die Besetzung der fünf weiteren Spitzen- posten zunächst blockiert: Für die Bör- sen dürften die politischen Ämter des EU-Ratschefs, bislang Donald Tusk, des EU-Außenbeauftragten, bisher Federica Mogherini und des EU-Parlamentsprä- sidenten, zuletzt noch Antonio Tajani, weniger interessant sein als die Neube- setzung an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Äußerungen von EZB-Prä- sident Mario Draghi bewegten die euro- päischen Börsen oft mehr als das „Ge- twittere“ von Trump. Die Amtszeit von Draghi endet im Oktober. Und so wurde an den Börsen spekuliert, wer die Nach- folge antreten dürfte: Die Chancen des Deutschen Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, waren schlechter, zumal Deutschland den zu- künftigen Kommissionschef stellen will. Der niederländische Zentralbank-Chef Klaas Knot wäre in Südeuropa leichter vermittelbar gewesen als Weidmann, trotz ähnlicher Positionen. Auch der iri- sche Notenbank-Chef Philip Lane hät- te erst noch beweisen müssen, dass er eine große Behörde führen kann. Er verfügt über einen exzellenten akade- mischen Ruf, vertritt wie die Mehrheit des EZB-Rats eine eher lockere Geld- politik und galt als Kompromisskandi- dat. Auch Estlands Notenbank-Chef Ardo Hansson hätte als Kompromiss funktionieren können und gilt als her- vorragender Ökonom. Frankreich bot mindestens drei mögliche Kandidaten auf: Notenbank-Chef François Villeroy de Galhau gilt auch als Befürworter © peterschreiber.media - stock.adobe.com
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