insider Ausgabe 03/19 Online
7 NACH DER EUROPA-WAHL: AUSWIRKUNGEN AUF DIE BÖRSEN Am Sonntag, dem 26. Mai ging die Europawahl 2019 zu Ende. An den Kapitalmärkten waren mögliche Auswirkungen mit Sorgen diskutiert worden. Doch seit die Wahlergebnisse vorliegen, haben sich die Börsen anderen, drängenderen Themen zugewandt. Tatsächlich hat die Geldpolitik der Notenbanken größeren Einfluss auf die Kapitalmärkte und die Lage am Persischen Golf auf die Preise von Öl und Gold. Doch gänzlich uninteressant ist der Wahlausgang nicht – auch nicht für die Perspektiven an den Börsen. U-skeptische oder gar EU-feind- liche Parteien haben bei der Eu- ropawahl weniger zugelegt als befürchtet. Allerdings zeigen die Wahl- ergebnisse in den großen Euro-Ländern Frankreich und Italien, dass es dort nicht gelungen ist, die Stimmengewinne po- pulistischer Nationalisten aufzuhalten. Die Wählerwanderung ging aber vor allem zulasten der bisher das Europa- parlament dominierenden bürgerlichen Volksparteien und Sozialdemokraten. Sie mussten deutliche Stimmen- und Sitzverluste hinnehmen, während sich europaweit grüne und liberale Parteien bestärkt fühlen dürfen. Sie gewannen bei der Europawahl deutlich hinzu, was die über viele Jahre praktizierte Polit- kungelei von Volkspartei und Sozialde- mokratie endlich beendet. Mehrheiten lassen sich nämlich nur mit den erstark- ten Grünen und/oder Liberalen errei- chen. Eine Vielparteienkoalition kann selbstbewusster gegenüber der EU- Kommission und den nationalen Regie- rungen auftreten. Umgekehrt dürfte es den nationalen Regierungen schwerer fallen, sich hinter verschlossenen Türen auf EU-Gipfeltreffen ausgemachte Be- schlüsse vom Europaparlament einfach abnicken zu lassen. Im schlechtesten Fall lähmt die neue Konstellation aller- dings die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene. Ein geschlossenes Auftre- ten der EU gegenüber den wirtschaft- lich aggressiv agierenden weltgrößten Volkswirtschaften USA und China wäre mehr denn je geboten. Wer wird Kommissionschef? Inzwischen dreht sich die politische Diskussion vor allem um die Besetzung einer europäischen Spitzenposition, nämlich die des Kommissionschefs. Der bisherige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker steht für das Amt nicht mehr zur Verfügung. Der Spitzen- kandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU ange- hören, ist der CSU-Politiker Manfred Weber. Weil gerade die EVP herbe Stimmenverluste hinnehmen musste und Weber noch nie als Regierungs- chef oder Minister gearbeitet hat, dürfte die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrem Wunschkandidaten scheitern. Nicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach sich gegen Weber aus. Elf der 28 Staats- und Regierungschefs machten klar, dass sie Weber nicht an der EU-Spitze akzeptieren wollen. Und auch die frisch gewählten Fraktions- chefs von Sozialdemokraten und Li- beralen teilten mit, dass sie den CSU- Politiker nicht zum Kommissionschef wählen würden. Damit wären eigentlich die Chancen der dänischen EU-Wett- bewerbskommissarin Margrethe Ves- tager und des französischen Brexit-Be- auftragten Michel Barnier gestiegen, die auch an den Kapitalmärkten Respekt für ihre bisherige Arbeit genießen. Aller- dings fehlt dafür offenbar die Billigung der deutschen Regierung. Berlin erhebt den Anspruch darauf, diesen Posten deutsch zu besetzen. © Jonas Glaubitz - stock.adobe.com
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