insider Ausgabe 03/19 Online
29 Unter Kaufkraft versteht man dagegen das verfügbare Ein- kommen für Konsumzwecke, also den Betrag, den ein Anleger nach Abzug aller regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen zur Verfügung hat. Insbesondere bei Erwerbstätigen spielt die- se Betrachtung eine bedeutende Rolle. Denn die sogenannte kalte Progression ist ein steuerlicher Effekt, der sich negativ auf die Kaufkraft auswirkt. Die Funktionsweise ist hierbei fol- gendermaßen: Angenommen die Einkommen erhöhen sich in dem gleichen Maße wie die Preise, es findet also bei den Löh- nen ein „Inflationsausgleich“ statt, dann bleibt einerseits das reale Bruttoeinkommen konstant. Weil aber auf der anderen Seite durch das progressive deutsche Steuersystem überpro- portional höhere Steuern auf das höhere Einkommen zu zah- len sind, sinkt die Kaufkraft der Arbeitnehmer. Ein Lohnanstieg von 1,4 Prozent würde also keinen Inflationsschutz bedeuten. Daher sollte ein Anleger bei einer konservativen Anlageform nicht die Inflationsrate als Maßstab nehmen, sondern das Er- halten seiner individuellen Kaufkraft. Dies stellt völlig andere Anforderungen an die Anlagelösung und an die Beratung ei- nes konservativen Kunden. Es zeigt sich, dass der Kunde wohl zuvorderst den Erhalt der individuellen Kaufkraft bei der Wahl seiner Anlage im Auge haben sollte. Bei Sparbuch, Festgeld und Co. dürfte der Deut- sche diesbezüglich kein Glück finden. Da eine im Dezember 2018 vom Bankenverband beauftragte Umfrage jedoch das Ergebnis brachte, dass sich 86 Prozent der Befragten weiter- hin nicht vorstellen könnten, höhere Risiken bei der Geldanla- ge einzugehen, steht man hier vor einem deutlichen Zielkon- flikt. Investmentfonds weisen ungewollte Schwankungen auf, aber auf Spareinlagen gibt es heute und in absehbarer Zeit keine Zinsen mehr. Somit fließt ein Großteil der Gelder in den Immobilienbereich – und dies im Umkehrschluss zulasten der Liquidität des Vermögens. Der wahre Ausblick Im Investmentbereich werden bis heute häufig Rentenfonds oder defensive bis ausgewogene Mischfonds als Anlageform für konservative Kunden empfohlen. Hintergrund ist, dass Investoren weltweit einen 30 Jahre andauernden Bullen- Markt im Rentenbereich erlebt haben. Seit 1990 sind etwa in Deutschland die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen von 9,15 Prozent auf heute –0,29 Prozent gefallen (siehe Abb. 3). Fallende Zinsen bedeuten steigende Anleihenkurse und schlussendlich positive Renditen für die oben genannten Fonds. Global betrachtet liegen Anleihen im Gegenwert von über 12 Bio. US-Dollar aktuell im negativen Zinsbereich. Das bedeutet: Als Anleihen-Investor bekommt man keinen Anteil an einem Unternehmen oder Staat, sondern leiht dem Gläu- biger sein Geld und muss gleichzeitig noch etwas dafür be- zahlen. Die Renditeerwartung basiert somit auf der Hoffnung, dass noch weitere Anleger auf den Zug aufspringen, sodass zumindest der Kurs der Anleihe weiter steigt. Infolgedessen sollten sich konservative Anleger zwei Fragen stellen: Sollte man – Stand jetzt – weiter auf Anleihen bau- en, die derzeit Renditen von –0,29 Prozent erzielen? Zumal man mutmaßlich davon ausgehen sollte, dass sich das Zins- umfeld – aufgrund der bereits kommunizierten weiteren Ein- griffe der Europäischen Zentralbank und aller großen Noten- banken weltweit – in absehbarer Zeit nicht verändern wird. Und: Wenn Anleihen-Portfolios aktuell einen Zins um die null Prozent aufweisen, wie kann dann eine zukünftige Renditeer- wartung aussehen? So könnten die Zinsen im negativen Be- reich kurzfristig durchaus weiter nach unten gedrückt werden, sodass eine positive Wertentwicklung möglich wäre. Auf die kommenden fünf Jahre und länger betrachtet erscheint dies Abb. 1: Top-Geldanlagen 2019 (Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich) Quelle: Kantar Group Sparbuch/Spareinlagen Sparen auf dem Girokonto Renten- und Kapital-LV Bausparvertrag Immobilien Investmentfonds Tagesgeldkonto u .ä. Riester-Rente Aktien Festverzinsliche Wertpapiere 45 40 29 28 22 22 22 20 15 5 Abb. 2: Verbraucherpreisindex - Gewichtung der Waren und Dienstleistungen, Stand Mai 2019 < Preisänderungsrate: Mai 2019 im Vergleich zu Mai 2018 > Quelle: Statistisches Bundesamt Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke: 9,7% < Preisänderung: 0,8% > Andere Waren und Dienstleistungen: 7,4% < Preisänderung: 2,2% > Gaststätten- und Beherbergungs- dienstleistungen: 4,7% < Preisänderung: 2,7% > Möbel, Leuchten, Geräte und anderes Haushaltszubehör: 5,0% < Preisänderung: 0,8% > Bildungswesen: 0,9% < Preisänderung: -0,2% > Bekleidung und Schuhe: 4,5% < Preisänderung: 1,2% > Gesundheit: 4,6% < Preisänderung: 1,1% > Alkoholische Getränke und Tabakwaren: 3,8% < Preisänderung: 2,7% > Post- und Telekommunikation: 2,7% < Preisänderung: -1,0% > Wohnung, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe: 32,5% < Preisänderung: 2,0% > Freizeit, Unterhaltung und Kultur: 11,3% < Preisänderung: -1,5% > Verkehr: 12,9% < Preisänderung: 3,1% > Die Inflationsrate lag im Mai 2019 bei 1,4% . Die Teuerungsrate hängt nicht nur davon ab, wie sich die Preise verändern. Entscheidend ist auch, mit welchem Gewicht die Preisentwicklungen der einzelnen Waren und Dienstleistungen in den Verbraucherpreisindex eingehen.
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