insider Magazin - Ausgabe2
Die Schadenssumme betrug umge- rechnet über 450 Mio. Euro. Es wird von Selbstmordserien berichtet, der Zusammenbruch hatte vor allem die Ärmsten getroffen. Nur wenige hatten viel verloren, aber die meisten alles, was sie hatten. Spitzeder selbst wurde nach zehnmonatiger Untersuchungshaft zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Statt hartem Knast verbüßte sie jedoch aus gesundheitlichen Gründen die Haft in einer Luxuszelle und widmete sich u. a. ihren Memoiren. : Ist Adele Spitzeder die Erfin- derin des Schnellballsystems? Julian Nebel: Es ist jedenfalls das erste aktenkundige Schneeballsystem. Einen Vorgänger gab es in der sogenannten Dukatensozietät – das war aber auf eine Kaserne beschränkt und muss eher als Schenkkreis bezeichnet werden. : Weshalb haben die Men- schen der Dame mehr vertraut als den etablierten Geldhäusern? Nebel: Sie war sichtbar und präsent. Sparkassen und Banken waren ano- nym, aber die Spitzeder war eine Frau aus dem Volk – reizbar, unhöflich, aber da. Auch heute noch wird ja Unhöflich- keit gerne mit Ehrlichkeit verwechselt. : Wie hat Sie das System am Laufen gehalten – immerhin kamen mit der Zeit erste kritische Berichter- stattungen? BUCHHINWEIS: Julian Nebel Adele Spitzeder - Der größte Bankenbetrug aller Zeiten ISBN: 978-3-95972-048-9 Preis: 17,99 Euro „ADELE SPITZEDER – DER GRÖSSTE BANKENBETRUG ALLER ZEITEN“ Mit Speck fängt man Mäuse … … das funktionierte damals wie heute. Wie das System Spitzeder seinerzeit derart gut funktionieren konnte, teilt Buchautor Julian Nebel im insider-Interview mit. 65 Nebel: Sie hat sich z. B. positive Bericht- erstattung finanziell klammer Zeitungen gekauft. Aber vor allem haben die kur- zen Laufzeiten und die astronomischen Zinssätze ihr neue Kunden quasi von selbst zugetragen. Die Mundpropagan- da funktionierte außerordentlich. : Gab es damals eigentlich schon einen Vertrieb bzw. finanzielle Anreize? Nebel: Ja, sie hat ein riesiges Vertriebs- netz aufgebaut. Wer ihr neue Kunden brachte, verdiente kräftig mit. Das nahm solche Ausmaße an, dass es einen re- gelrechten Arbeitermangel in München gab. Alle waren Kreditvermittler gewor- den, es gab keine Lastenträger mehr, keine Holzfäller, keine Boten, keine Ta- gelöhner. : Spitzeder agierte hinsichtlich Außendarstellung eher nach dem Mot- to „nicht kleckern, sondern klotzen“: Hat sie bereits damals die PR-Klavia- tur bedient? Nebel: In jeder Hinsicht. Klassische PR über Zeitungen hat sie ebenso gut be- herrscht wie trojanisches Marketing: Von den Kanzeln der Kirchen wurde für das Wohl der Spitzeder gebetet, nach- dem teure Zigarren und Geldscheine den Besitzer wechselten. Sie war ein- fach immer da, immer präsent, eine zum Anfassen. Armenspeisungen zu Weih- nachten, die Gründung einer Volkskü- che, in der das Bier immer einen Pfennig billiger war als anderswo. Auch kritische Berichterstattung hat sie genutzt, um sich als Opfer von Medienverfolgung zu stilisieren. Das ergab dann gleich eine Solidarisierungswelle. : Trotz aller unseriösen Ma- chenschaften von Spitzeder und Co. gibt es immer noch Anleger, die auf unseriöse Finanzmodelle reinfallen: Worin sehen Sie an dieser Stelle den Hauptgrund und wie sieht Ihre ganz persönliche Lektion aus der Spitzeder- Geschichte aus? Nebel: Häufig steckt dahinter eine Art messianischer Heilshoffnung. Mit der Person an der Spitze verbinden sich Hoffnungen und Träume. Schauen Sie sich mal die Elon-Musk-Verehrung an. Auch bei Madoff war man ja von sei- nen ganz persönlichen Qualitäten über- zeugt, aber ein Blick aufs Geschäftskon- zept und in die Bücher hätte da nicht geschadet … Soll heißen: Eine gesunde Skepsis gegenüber glamourösen Typen an der Spitze schadet nicht. << Julian Nebel , studierter Jurist, ist Pressesprecher des FinanzBuch Verlags – und hat dort auch seine Freude am Schreiben entdeckt.
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